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Graduiertenkolleg: Religiöse Differenzen gestalten


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Forschungsprogramm

Jedes interreligiöse Gespräch mag als Fernziel eine neue „große Erzählung“ über das Verhältnis der Religionen untereinander haben. Indes hat die neuere Religionstheologie – im Christentum wie im Islam – deutlich gemacht, dass mit allgemeinen und abstrakten Verhältnisbestimmungen im Blick auf das Zusammenleben im globalen Kontext kein Verständigungsfortschritt zu erzielen ist. Pluralismusbildung (im Sinne von Pluralismusbildung II) bewegt sich zwischen dem unhintergehbaren Verwiesensein an die je eigene religiöse Tradition und dem humanen Gebot, Andersheit „als Andersheit wertzuschätzen“ (Klaus v. Stosch). Die theologische Forschung in interreligiöser Perspektive zieht daraus die Folge einer Konzentration auf den Einzelfall. Weder kontextlose Gemeinsamkeitsfeststellungen noch gegenseitige exklusivistische Abwertungen vermögen dem Empfinden einer „continued alterity“ (Jeannine Hill Fletcher) Rechnung tragen. Stattdessen enthalten sich die konfessionellen Theologien in den Kontaktzonen angesichts des Anderen eines Urteils, halten sich aber für unableitbar neues Geschehen offen und suchen in der Begegnung nach Phänomenen der Resonanz (Muhammad Legenhausen). Die – nur scheinbar skeptische – Zurückhaltung erweist sich dabei gerade als der kritisch-reflektierte Weg, jene neue Verhältnisbestimmung anzustreben. Damit wird zugleich der Ertrag der bisherigen Debatte um interreligiöse Bildung aufgenommen, der aber zugleich um das Moment des intrareligiösen Pluralismus erweitert werden kann und sollte.

Denn in der konstruktiven Auseinandersetzung mit religiösen Differenzen wird deutlich: Christentum und Islam sind schon in sich pluralistisch verfasst und haben je eigene Verfahren zum Umgang mit religiösem Pluralismus hervorgebracht (Pluralismusbildung I). Dieser prägt bereits die normativen Quellentexte, vor allem Bibel und Koran, und strahlt von dort in die verschiedenen religiösen Narrative und in die spirituellen und sozialen Praktiken beider Religionen aus. Die innere Vielstimmigkeit der kanonischen Texte unterläuft auf Dauer jegliche diskursive Selbstabschließung religiöser Formationen und wirkt sich auch auf die in der weiteren geschichtlichen Entwicklung hinzukommenden normativ bedeutsamen Texte aus.

Das geplante Promotionskolleg „Religiöse Differenzen gestalten. Pluralismusbildung in Christentum und Islam“ soll über von christlich-islamischen Teams betreute Promotionen an exemplarischen Beispielen Möglichkeiten konstruktiver Gestaltung religiöser Differenzen erschließen und erforschen. Dabei soll nicht zuletzt das Kolleg selbst – im lebendigen und strukturierten Diskurs von Promovierenden und Professoren/Professorinnen – ein Ort sein, an dem die christlichen Theologien und die islamische Theologie ihre je eigenen Narrative und Praktiken konsequent im intertheologischen Austausch und im Blick auf die Potentiale der beiden Religionen zur Pluralismusbildung reflektieren.

Um das Phänomen der Pluralismusbildung in interreligiöser Perspektive bearbeiten zu können, bedarf es der Schärfung der Wahrnehmung der internen Pluralismusbildung der je eigenen Religion. Hier kommt der theologischen Reflexion, die die Differenziertheit der eigenen Tradition erschließt, entscheidende Bedeutung zu. Wir gehen von folgender These aus: Das Vertrautsein mit intrareligiösem Pluralismus trägt auch zu einem konstruktiven Umgang mit interreligiösen Differenzen bei.

Diese These lässt sich – im Einklang mit der Methodenpluralität von Theologie überhaupt – nur im Zusammenspiel von exegetischer, systematischer und praktisch-theologischer Forschung bewähren. Deshalb wird der Antrag auf Förderung eines Promotionskollegs von Antragstellerinnen und Antragstellern aus diesen unterschiedlichen Disziplinen getragen. Zugleich sollen in den jeweiligen Dissertationen diese drei Dimensionen theologischer Arbeit – in unterschiedlicher Gewichtung – zugrunde gelegt werden.

Über eine Relektüre der in sich pluralen Quellentexte von Christentum und Islam sowie der je eigenen Narrative und Praktiken soll die in Christentum und Islam je schon angelegte Pluralismusbildung sichtbar werden. Dazu bedarf es Arbeiten, die sich auf begrenzte und operationalisierbare Fragestellungen konzentrieren und konkrete Formen von Pluralismusbildung im kontinuierlichen Dialog mit den religiösen Narrativen und Praktiken der „anderen“ thematisieren. Selbst- und Fremdwahrnehmung sind dabei beständig aufeinander zu beziehen.

Eine solche Relektüre wird hermeneutische Grundlagen für interkonfessionelle und interreligiöse Gespräche erarbeiten, die die ‚Entweder-Oder‘-Logik klassischer Fundamentaltheologie zugunsten eines neuen Entdeckungsprozesses der Vielfalt von Wahrheits- und Sinnansprüchen transzendieren. Das Kolleg kann dazu beitragen, diese Vielfalt nach innen und nach außen auf neue Weise buchstabieren zu lernen – im Dienst einer Konvivenz in von großen religiösen Dynamiken geprägten Zeiten. Das bedeutet auch, Prozesse von In- und Transkulturation in den Blick zu nehmen, Differenzerfahrungen auszuhalten und den Umgang mit „Ambiguitäten“ (Thomas Bauer) wieder zu erlernen.

Sich auf einen solchen Entdeckungs- und Lernprozess einzulassen, ist bis heute keineswegs selbstverständlich. Kontaktzonen zwischen den Religionen sind zwar weitgehend etabliert, aber interreligiöse Dialoge erreichen häufig nicht das, was sich die Dialogpartner erhoffen. Sie führen keineswegs an sich zu weniger Vorurteilen, größerem Verständnis oder gesellschaftlichem Frieden. Es bedarf deshalb einer wissenschaftlichen Selbstaufklärung von interreligiösen Kontaktzonen. Dazu müssen die Dialogpartner zum einen die intrareligiöse Pluralismusbildung in den Dialog einbringen. Zum anderen darf der Dialog nicht isoliert von denjenigen Praxisfeldern geführt werden, auf denen religiöse Pluralität als konkrete Herausforderung erlebt wird. Die sich mit der wissenschaftlichen Aufklärung von interreligiösen Begegnungen stellenden Fragen sollen im Rahmen des Promotionskollegs deshalb durch die Berücksichtigung verschiedener Felder religiöser Praxis geklärt werden.